Dead Internet Theory: Ursachen, Motive, Konsequenzen

Die Dead Internet Theory – Eine umfassende Analyse der algorithmischen Hegemonie und der Transformation der digitalen Öffentlichkeit

Das vorliegende Dossier bietet eine erschöpfende Untersuchung der „Dead Internet Theory“ (DIT), einer Hypothese, die sich von einer marginalisierten Verschwörungstheorie zu einem zentralen Erklärungsmodell für den Zustand der digitalen Infrastruktur im Jahr 2025 entwickelt hat. Die Analyse basiert auf einer umfangreichen Auswertung aktueller Daten, technischer Berichte und soziologischer Studien bis zum vierten Quartal 2025.

Zentrale Befunde:

• Der Kipppunkt ist erreicht: Im Jahr 2025 hat der automatisierte Datenverkehr (Bots) erstmals in der Geschichte des Internets das menschliche Aktivitätsvolumen übertroffen. Mit einem Anteil von 51 % am gesamten Web-Traffic dominieren nicht-menschliche Akteure die digitale Infrastruktur.¹
• Inhaltliche Sättigung durch KI: Über 52 % aller neu publizierten englischsprachigen Artikel im Web sind KI-generiert. Dies führt zu einer massiven Verwässerung der Informationsqualität und bestätigt die Kernannahme der Theorie, dass das Internet zunehmend „leer“ an menschlicher Substanz ist.³
• Die Ära des „Slop“: Der Begriff „Slop“ (minderwertiger KI-Matsch) wurde zum Wort des Jahres 2025 gekürt und symbolisiert die kulturelle Verflachung durch generative Algorithmen, die primär auf Engagement-Optimierung und Werbebetrug abzielen.⁴
• Prognose 2026: Das Internet steht vor einer fundamentalen Spaltung (Bifurkation) in verifizierte „Human-Only“-Zonen, geschützt durch digitale Identitätsnachweise (EU Digital Identity Wallet), und unregulierte „AI Wastelands“, in denen autonome Agenten dominieren.

Der Bericht gliedert sich in eine detaillierte historische Rekonstruktion, eine quantitative Bestandsaufnahme der Situation Ende 2025, eine Analyse der technologischen Treiber (Agentic AI) und eine fundierte Prognose für das Jahr 2026.

1. Genesis und Evolution: Von der Paranoia zur Prophezeiung

1.1 Die prähistorische Phase und der kulturelle Nährboden (2015–2020)

Um die Dead Internet Theory in ihrer heutigen Relevanz zu verstehen, ist eine archäologische Betrachtung ihrer Entstehung notwendig. Die Theorie entstand nicht in einem Vakuum, sondern als Reaktion auf spürbare Veränderungen in der Qualität und Authentizität digitaler Interaktionen. Bereits Mitte der 2010er Jahre beobachteten Nutzer in Foren wie 4chan und Reddit eine zunehmende Homogenisierung von Diskussionen.

Der Begriff „Dead Internet Theory“ kristallisierte sich Ende der 2010er Jahre heraus, fand seinen definitiven Ursprungsmythos jedoch in einem spezifischen Forenbeitrag. Im Jahr 2021 veröffentlichte ein Nutzer unter dem Pseudonym „IlluminatiPirate“ auf dem Forum Agora Road’s Macintosh Cafe einen Thread mit dem Titel: „Dead Internet Theory: Most Of The Internet Is Fake“.⁵ Dieser Text fungierte als Gründungsmanifest.

Die Kernthese von „IlluminatiPirate“ war so radikal wie intuitiv plausibel für viele langjährige Internetnutzer: Das organische Internet, wie es in den 2000er Jahren existierte, sei um das Jahr 2016/2017 „gestorben“. Was Nutzer seither erleben, sei eine Simulation – ein Potemkinsches Dorf, das von künstlicher Intelligenz und bezahlten Influencern aufrechterhalten wird, um die Illusion von Aktivität zu wahren und die Bevölkerung durch algorithmische Kuration zu manipulieren.⁵

In dieser frühen Phase vermischten sich legitime technologische Beobachtungen mit klassischen Verschwörungsnarrativen. Proponenten argumentierten, dass Regierungsbehörden und Konzerne komplexe Bot-Netzwerke nutzten, um die öffentliche Wahrnehmung subtil zu steuern („Gaslighting“ der Bevölkerung). Ein oft zitiertes Indiz war die Repetitivität von Memes und kulturellen Trends, die nicht mehr organisch zu wachsen schienen, sondern „top-down“ forciert wirkten.⁵

1.2 Die technologische Validierung und der Mainstream-Diskurs (2021–2024)

Zwischen 2021 und 2024 transformierte sich die DIT von einer Randnotiz in esoterischen Foren zu einer ernsthaften Hypothese der Medien- und Kommunikationswissenschaften. Auslöser war die Veröffentlichung leistungsfähiger Large Language Models (LLMs) wie GPT-3 und später GPT-4, die der breiten Öffentlichkeit demonstrierten, wie einfach es geworden war, menschliche Sprache täuschend echt zu simulieren.

Ein Schlüsselmoment in der Validierung der Theorie war die Übernahme von Twitter (heute X) durch Elon Musk. Musk begründete seine anfängliche Zögerlichkeit beim Kauf mit der Behauptung, die Plattform sei von Bots verseucht. Im September 2025, drei Jahre nach diesen Debatten, bestätigte Musk erneut, dass 90 % der Antworten auf seine Tweets von Bot-Accounts stammten – eine Aussage, die als indirekte Bestätigung der „Zombie-Internet“-Realität gewertet wurde.⁷ Auch Sam Altman, CEO von OpenAI, räumte 2025 ein, dass er die Theorie lange unterschätzt habe, nun aber die Dominanz von LLM-gesteuerten Accounts auf sozialen Medien als Fakt anerkenne.⁷

Die akademische Aufarbeitung dieser Phase zeigt, dass die Verschwörungselemente (z.B. eine zentrale Regierungssteuerung) zwar spekulativ blieben, die technologischen Prämissen – die Übernahme des Diskurses durch nicht-menschliche Akteure – jedoch präzise Vorhersagen waren. Journalistische Untersuchungen, etwa durch The Atlantic, trugen dazu bei, den Begriff zu entmystifizieren und als Metapher für die algorithmische Entfremdung zu etablieren.⁶

2. Phänomenologie des „Toten Netzes“: Zentrale Axiome und Mechanismen

Die Theorie in ihrer modernen Ausprägung (Stand Ende 2025) stützt sich auf drei zentrale Säulen, die das Nutzererlebnis und die technische Infrastruktur definieren.

2.1 Das Axiom der Simulation (Content Generation)

Dieses Axiom besagt, dass Inhalte nicht mehr primär von Menschen für Menschen erstellt werden, sondern von Maschinen, um Algorithmen zu füttern. Dies führt zu einer „Autophagie“ (Selbstverzehrung) des Internets. Da KI-Modelle zunehmend mit Daten trainiert werden, die von anderen KIs erzeugt wurden, entsteht ein geschlossener Kreislauf, in dem menschliche Nuancen, kulturelle Idiosynkrasien und echte Kreativität verloren gehen. Das Resultat ist eine geglättete, hyper-optimierte Durchschnittlichkeit des Inhalts.⁹

2.2 Das Axiom der Algorithmischen Kontrolle (Curation)

Selbst wenn Inhalte noch von Menschen erstellt werden, entscheidet keine menschliche Redaktion oder organische Viralität über deren Sichtbarkeit, sondern undurchsichtige Algorithmen. Diese Algorithmen priorisieren Inhalte, die maximale „Engagement Time“ versprechen – oft durch Empörung („Ragebait“) oder bizarre visuelle Reize. Dies führt dazu, dass Nutzer in einer kuratierten Realität leben, die wenig mit der tatsächlichen Welt gemein hat. Die Theorie postuliert hier eine „Inversion“: Der Algorithmus dient nicht mehr dem Nutzer, sondern der Nutzer dient als Datenlieferant für den Algorithmus.⁵

2.3 Das Axiom der Bot-Hegemonie (Interaction)

Interaktionen im Netz – Likes, Kommentare, Shares – sind entwertet. Ein Großteil dieser Metriken wird durch automatisierte Skripte („Click Farms“, autonome Bots) generiert. Dies erzeugt das Phänomen des „Zombie-Engagements“: Hohe Zahlen bei Views und Followern, aber keine reale Konversion oder kulturelle Resonanz. Marken und Influencer operieren in einem Vakuum, in dem sie ihre Zahlen künstlich aufblähen müssen, um im algorithmischen Wettbewerb gegen Bots bestehen zu können.⁷

3. Statusbericht Ende 2025: Die quantitative Realität der Übernahme

Das Jahr 2025 markiert in der Geschichte des Internets eine Zäsur. Die empirischen Daten, die zum Jahresende vorliegen, zeichnen das Bild eines Netzwerks, das den Kipppunkt (Tipping Point) überschritten hat.

3.1 Traffic-Analyse: Der Sieg der Maschinen

Laut dem 2025 Bad Bot Report von Imperva und weiteren Sicherheitsanalysen hat sich das Verhältnis von menschlichem zu maschinellem Traffic fundamental verschoben.

Traffic-Kategorie	Anteil (2025)	Trend gegenüber Vorjahren	Implikation
Gesamter Automatisierter Traffic	51,0 %	↑ Erstmals Mehrheit	Das Internet ist primär eine Infrastruktur für Maschine-zu-Maschine-Kommunikation geworden.1
„Bad Bot“ Traffic	37,0 %	↑ Signifikanter Anstieg	Bösartige Akteure (Scraper, Account Takeover, DDoS) dominieren den automatisierten Sektor.1
Menschlicher Traffic	49,0 %	↓ Historisches Tief	Menschen sind zur Minderheit im eigenen Netzwerk geworden.

Diese Zahlen sind nicht nur technischer Natur; sie bedeuten, dass jede zweite Interaktion, jeder zweite Klick und jeder zweite Seitenaufruf potenziell ohne menschliches Bewusstsein erfolgt. Die Barriere für den Eintritt in die Welt der Cyberkriminalität und Bot-Erstellung ist durch KI-Tools drastisch gesunken, was zu einem Anstieg einfacher, aber massenhafter Bot-Attacken geführt hat.¹

3.2 Die Inhaltsflut: 52 Prozent KI-Anteil

Eine Untersuchung der SEO-Firma Graphite, basierend auf einer Analyse von 65.000 Artikeln, zeigt die explosive Zunahme synthetischer Texte.

• Wachstum: Lag der Anteil KI-generierter Artikel Ende 2022 noch bei ca. 10 %, so stieg dieser Wert bis 2024 auf über 40 %.
• Plateau: Im Mai 2025 erreichte der Anteil neu veröffentlichter Artikel, die als KI-generiert klassifiziert wurden (mit einer Wahrscheinlichkeit von >50 %), einen Wert von 52 %.³
• Dunkelziffer: Forscher gehen davon aus, dass der tatsächliche Anteil an synthetischem Text auf allen aktiven Webseiten zwischen 30 % und 40 % liegt. Die Unterscheidung wird jedoch zunehmend schwieriger, da Menschen KI-Tools assistiv nutzen („Symbiose“), was die Grenzen verwischt.³

Interessant ist hierbei die Diskrepanz zwischen Existenz und Sichtbarkeit: Während über die Hälfte der neuen Inhalte KI-generiert sind, machen sie in den Google-Suchergebnissen nur etwa 14 % der Top-Treffer aus. Dies deutet darauf hin, dass Suchmaschinenfilter (noch) effektiv gegen reinen Spam arbeiten, oder dass Content-Farmen realisieren, dass die reine Masse nicht mehr automatisch zu Sichtbarkeit führt.³

3.3 Das ökonomische Desaster: „Made for Advertising“ (MFA)

Ein wesentlicher Treiber des toten Internets ist der ökonomische Anreiz durch Werbebetrug. Sogenannte „Made for Advertising“ (MFA)-Seiten sind Webseiten, die ausschließlich existieren, um Werbeplätze über programmatische Börsen zu verkaufen.

• Umsatzverlust: Im zweiten Quartal 2025 flossen weltweit 716 Millionen US-Dollar an Werbegeldern in MFA-Seiten.¹²
• Mechanik: Diese Seiten nutzen generative KI, um Tausende Artikel zu Nischenthemen (Gesundheit, Finanzen, Tech) zu erstellen. Bots besuchen diese Seiten, um Traffic vorzutäuschen, und Werbenetzwerke platzieren dort Anzeigen echter Marken.
• Konsequenz: Werbetreibende zahlen für die Anzeige ihrer Produkte vor nicht-existierenden Augen auf Webseiten, die kein Mensch liest. Dies ist die ökonomische Basis des Zombie-Internets.

3.4 Fallstudien der Plattform-Degeneration 2025

3.4.1 Meta (Facebook/Instagram): Die „Shrimp Jesus“-Ära

Meta hat sich 2025 als Paradebeispiel für die DIT etabliert. Das Phänomen des „AI Slop“ manifestierte sich besonders drastisch auf Facebook. Nutzer beobachteten eine Flut von KI-generierten Bildern, die bizarre Motive zeigten – etwa Jesus-Figuren aus Garnelen („Shrimp Jesus“), die von Stewardessen im Schlamm gerettet werden.

• Engagement-Farming: Diese Bilder generierten Millionen von Likes und Kommentaren. Analysen zeigten jedoch, dass die Kommentare („Amen“, „Beautiful picture“) ebenfalls fast ausschließlich von Bots stammten.¹⁴
• Plattform-Reaktion: Anstatt diese Inhalte zu filtern, schienen Metas Algorithmen sie zu bevorzugen, da sie hohe Interaktionsraten aufwiesen. Meta experimentierte zudem mit eigenen KI-Personas (z.B. „Liv“), um die sinkende menschliche Aktivität zu maskieren.¹⁵

3.4.2 X (Twitter): Der Echoraum der LLMs

Auf X hat sich die Kommunikation in politischen und kulturellen Themenfeldern zu einem Dialog zwischen LLMs entwickelt. Sam Altmans Beobachtung, dass viele Accounts von LLMs betrieben werden, deckt sich mit Analysen, die zeigen, dass Bots genutzt werden, um Narrative (z.B. zu geopolitischen Konflikten) durch schiere Masse zu dominieren.⁷

3.4.3 LinkedIn: Die professionelle Halluzination

Auch professionelle Netzwerke sind betroffen. 2025 wurde geschätzt, dass über 50 % der längeren Posts auf LinkedIn KI-generiert sind. Die Plattform leidet unter einer Feedback-Schleife, in der KI-generierte „Thought Leadership“-Artikel von KI-generierten Kommentaren gelobt werden, um die Sichtbarkeit der beteiligten Profile zu erhöhen.¹⁵

4. Die technologische Triebfeder: Agentic AI und Autophagie

Das Jahr 2025 zeichnet sich durch den Übergang von reiner generativer KI (Text/Bild auf Prompt) zu „Agentic AI“ (autonome Handlungsfähigkeit) aus.

4.1 Der Aufstieg der autonomen Agenten

Während ChatGPT (2022–2024) auf menschliche Eingaben wartete, agieren die KI-Systeme von 2025 proaktiv.

• Autonomie-Level: Nach Definitionen von AWS und Branchenexperten befinden wir uns im Übergang zu „Level 3“ und „Level 4“ Agenten. Diese können Ziele selbstständig planen, Werkzeuge nutzen (Webbrowser, API-Calls) und komplexe Aufgabenfolgen ausführen.¹⁶
• Agenten im Netz: Diese Agenten bevölkern das Internet nicht nur als Content-Ersteller, sondern als Nutzer. Sie lesen Nachrichten, posten Kommentare, füllen Formulare aus und interagieren miteinander. Ein einzelner menschlicher Akteur kann eine Armee von Agenten steuern, die kohärente Persönlichkeiten simulieren.¹⁷
• Business Adoption: 88 % der befragten Führungskräfte planten im Mai 2025 Budgeterhöhungen für Agentic AI, was zeigt, dass die Automatisierung der Interaktion kein Unfall, sondern eine gezielte Unternehmensstrategie ist.¹⁸

4.2 Modell-Kollaps und Autophagie

Ein kritisches Phänomen des Jahres 2025 ist die Verschlechterung der KI-Modellqualität durch „Autophagie“ (Selbstverzehrung). Da das Internet mit KI-Daten geflutet ist, trainieren neue Modelle zunehmend mit den fehlerhaften oder halluzinierten Outputs ihrer Vorgänger.

• Der Loop: Dies führt zu „autophagen Schleifen“, in denen die Varianz der Antworten abnimmt und die Modelle in einen Zustand der digitalen Inzucht verfallen. Die Realität wird verzerrt dargestellt, da Nuancen, die statistisch selten sind (Edge Cases), aus den Trainingsdaten verschwinden.⁹

4.3 Deepfakes als Waffe: Der US-Government Shutdown 2025

Die Gefahr von Desinformation durch KI-Video-Generatoren wurde während des US-Regierungshutdowns 2025 real. Anonyme Akteure nutzten das Modell „Sora“ (OpenAI), um täuschend echte Videos von sogenannten „Welfare Queens“ zu erstellen, die in Supermärkten randalierten. Diese Videos verbreiteten sich viral, schürten Hass gegen Sozialhilfeempfänger und wurden von Millionen als real akzeptiert, bevor Faktenchecker eingreifen konnten.¹⁹ Dies demonstriert, dass die visuelle Evidenz – einst der Goldstandard der Beweisführung – im toten Internet wertlos geworden ist.

5. Psychosoziale Auswirkungen: Das „Zombie-Internet“ und die menschliche Psyche

Die Dominanz des toten Internets hat massive Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Sozialverhalten der verbliebenen menschlichen Nutzer.

5.1 Kognitive Erschöpfung und „Zombie Scrolling“

Der Konsum von „AI Slop“ führt zu einem Phänomen, das Forscher als „Zombie Scrolling“ bezeichnen. Anders als das angstgetriebene „Doomscrolling“ ist dies durch völlige emotionale Leere gekennzeichnet.

• Kognitiver Abbau: Studien zeigen, dass der konsumierte KI-Inhalt, der oft sinnfrei oder repetitiv ist, die kognitiven Fähigkeiten zur fokussierten Aufmerksamkeit mindert. Das Gehirn schaltet in einen passiven Modus, was das Gefühl der Entfremdung verstärkt.²¹

5.2 Der Kollaps der Wahrheit und Vertrauensverlust

Die Omnipräsenz von Deepfakes und Bots hat zu einem fundamentalen Vertrauensverlust geführt. Nutzer gehen standardmäßig davon aus, dass Inhalte gefälscht sind („Nothing is real“).

• Social Proof: Da Likes und Kommentare gefälscht sind, verliert der „Social Proof“ (soziale Bewährtheit) seine Funktion als Orientierungshilfe. Menschen wissen nicht mehr, was die Mehrheitsmeinung ist, da Mehrheiten künstlich generiert werden können.¹⁴
• Isolation: Paradoxerweise führt die Hyperkonnektivität mit scheinbar Millionen anderen Nutzern zu Einsamkeit, da die Nutzer realisieren, dass sie oft nur mit Maschinen interagieren. Das Internet fühlt sich „leer“ an, obwohl es laut und bunt ist – eine digitale Geisterstadt.⁶

5.3 Parasoziale Beziehungen zu Maschinen

Ein beunruhigender Trend ist der Ersatz menschlicher Beziehungen durch KI. Studien aus dem Jahr 2025 zeigen, dass immer mehr Nutzer, insbesondere junge Erwachsene, emotionale Bindungen zu KI-Chatbots aufbauen. Diese Beziehungen simulieren Empathie, sind aber letztlich einseitig und hindern die Nutzer daran, komplexe menschliche Interaktionen zu üben.²²

6. Ausblick 2026: Die große Bifurkation und das Ende des offenen Netzes

Basierend auf den Entwicklungen von 2025 lässt sich für das Jahr 2026 eine radikale Umstrukturierung des digitalen Raums prognostizieren. Das einheitliche World Wide Web wird faktisch aufhören zu existieren und in zwei hermetisch getrennte Sphären zerfallen.

6.1 Die Spaltung: „Human Web“ vs. „AI Wasteland“

Die wichtigste Entwicklung für 2026 ist die Trennung des Internets in verifizierte Zonen und wilde Zonen.

1. Das „Human Web“ (Die verifizierte Zone):

• Zugang: Nur mit strengem „Proof of Humanity“. Anonymität wird in diesem Teil des Netzes abgeschafft.
• Technologie: Biometrische Verifikation (z.B. World ID/Iris-Scan), staatliche eIDs und Passkeys werden zum Standard für Login-Prozesse.²⁴
• Dienste: Finanzwesen, Dating-Apps, seriöse Nachrichtenportale und Premium-Social-Media-Netzwerke werden sich hierhin zurückziehen. Sicherheit und Authentizität werden zu Luxusgütern, für die Nutzer bereit sind, mit ihren Daten oder Geld zu bezahlen.

2. Das „AI Wasteland“ (Der Graubereich):

• Zugang: Offen, anonym, unreguliert.
• Zustand: Dieser Bereich wird von autonomen KI-Agenten dominiert, die Propaganda, Werbung und Slop produzieren. Es wird ein „Dark Forest“, in dem menschliche Nutzer nur noch als passive Beobachter oder Opfer von Betrug operieren.
• Evolution: Hier werden sich KI-Modelle gegenseitig trainieren und manipulieren, was zu bizarren kulturellen Mutationen führen wird, die für Menschen kaum noch verständlich sind.¹⁷

6.2 Regulatorischer Zwang: Die EU als Treiber

Die Europäische Union wird 2026 zum globalen Taktgeber der De-Anonymisierung.

• EU Digital Identity Wallet: Bis Ende 2026 müssen alle EU-Mitgliedstaaten ihren Bürgern eine digitale Wallet bereitstellen. Große Online-Plattformen (Very Large Online Platforms, VLOPs) werden gesetzlich verpflichtet sein, diese Wallets zur Alters- und Identitätsprüfung zu akzeptieren.²⁷
• Implikation: Was als bürokratischer Akt beginnt, wird das Ende des anonymen Postens auf großen Plattformen einläuten. „Verifiable Credentials“ werden zur neuen Währung des Vertrauens.²⁶

6.3 Die Renaissance des „Small Web“ und Human-Centric Marketing

Als kulturelle Gegenreaktion zum toten Internet wird das „Small Web“ florieren.

• Human-Only Spaces: Private Communities auf Discord, Telegram oder neuen, verifizierten Plattformen werden die öffentlichen „Town Squares“ ersetzen. Nutzer suchen Qualität statt Quantität.³⁰
• Marketing 2026: Marken werden ihre Strategien radikal ändern. Statt auf algorithmische Reichweite (die meist Bots trifft) zu setzen, werden sie „Human-Centric Content“ priorisieren. Das Label „100% Human Made“ wird zum Qualitätsmerkmal, ähnlich wie „Bio“ bei Lebensmitteln. Physische Events und Guerilla-Marketing in der realen Welt erleben eine Renaissance, da sie nicht von KI gefälscht werden können.³¹

6.4 Physical AI: Die Flucht in die Realität

Da der digitale Raum als „vergiftet“ gilt, wird sich der Technologie-Hype 2026 auf die „Physical AI“ verlagern – Roboter, Drohnen und smarte Infrastruktur. Daten aus der physischen Welt gelten als vertrauenswürdiger als synthetische Daten aus dem Web.³³

7. Zusammenfassende Bewertung

Die „Dead Internet Theory“ hat sich von einer düsteren Prognose zur präzisen Beschreibung der digitalen Realität Ende 2025 gewandelt. Die technologische Utopie eines offenen, globalen Kommunikationsraums ist an der Skalierbarkeit künstlicher Generierung gescheitert.

Wir erleben nicht den Tod des Internets im Sinne einer Abschaltung, sondern seine Transformation in eine zombifizierte Infrastruktur, die primär ökonomischen und algorithmischen Zielen dient, statt menschlicher Verbindung. Die Antwort der Gesellschaft im Jahr 2026 ist der Rückzug: Rückzug in verifizierte Identitäten, Rückzug in geschlossene Communities und Rückzug in die physische Realität.

Das „Internet“ als singulärer Ort existiert nicht mehr. An seine Stelle tritt eine fragmentierte Landschaft aus hochsicheren Festungen für Menschen und weiten, verwilderten Ebenen für Maschinen. Die zentrale Kompetenz für Nutzer im Jahr 2026 wird nicht mehr „Medienkompetenz“ sein, sondern „Realitätskompetenz“ – die Fähigkeit, in einer Welt der perfekten Simulation das letzte Quäntchen Echtheit zu identifizieren.

Verzeichnis der primären Datenquellen und Indikatoren

Zur Untermauerung der Analysen in diesem Dossier wurden folgende zentrale Datenpunkte und Berichte herangezogen:

Indikator	Wert / Status 2025	Quelle
Bot Traffic	51,0 % des globalen Web-Traffics	1
KI-Content Anteil	52,0 % aller neu publizierten Artikel	3
MFA-Verluste	716 Mio. USD (Q2 2025) durch Ad-Fraud	12
Agentic AI	88 % der Firmen erhöhen Budgets	18
Regulierung	EU Digital Wallet Rollout bis Ende 2026	27
Kultur	„Slop“ als Wort des Jahres 2025	4
Plattformen	LinkedIn >50 % KI-Inhalt; X von Bots dominiert	7

Ende des Dossiers.

Referenzen

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3. Over 50 Percent of the Internet Is Now AI Slop, New Data Finds, Zugriff am Dezember 22, 2025, https://futurism.com/artificial-intelligence/over-50-percent-internet-ai-slop
4. ‘Slop’ Is Merriam-Webster’s 2025 Word of the Year as AI Content Floods the Internet – CNET, Zugriff am Dezember 22, 2025, https://www.cnet.com/tech/services-and-software/slop-is-merriam-websters-2025-word-of-the-year-as-ai-content-floods-the-internet/
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