
1. Google Disco: Der Paradigmenwechsel vom Abruf zur Generierung
Die Geschichte des World Wide Web ist untrennbar mit der Evolution des Web-Browsers verbunden. Seit der Einführung von Mosaic und Netscape Navigator in den frühen 1990er Jahren folgte das Paradigma des Web-Zugangs einem konstanten, unveränderlichen Prinzip: Der Browser fungiert als neutrales Fenster (“User Agent”), das vom Server bereitgestellte Dokumente (HTML, CSS, JavaScript) interpretiert und visuell darstellt. Der Nutzer “browsed” – er blättert durch vorbestehende Informationen. Die Einführung von Tabs durch Opera und später Firefox in den frühen 2000er Jahren optimierte lediglich das Management dieser Dokumente, änderte jedoch nichts an der passiven Natur des Konsums.
Mit der Ankündigung von Google Disco und der zugrundeliegenden GenTabs-Technologie im Dezember 2025 erleben wir den ersten fundamentalen Bruch mit diesem Modell seit dreißig Jahren. Wir treten ein in die Ära des Generativen Browsings. In diesem neuen Paradigma ist der Browser nicht mehr nur ein Rendering-Engine für fremden Code, sondern eine aktive Instanz, die Informationen synthetisiert, rekontextualisiert und – im Falle von Disco – ad hoc neue Software-Applikationen generiert, um spezifische Nutzerbedürfnisse zu erfüllen.1
Dieses Dossier bietet eine exhaustive Analyse dieses technologischen Sprungs. Es untersucht die Architektur von Google Disco, vergleicht sie detailliert mit den aufstrebenden Konkurrenten von OpenAI (Atlas) und Perplexity (Comet), und beleuchtet die komplexen geopolitischen und regulatorischen Hürden, die einem globalen Rollout – insbesondere in der Europäischen Union und Deutschland – entgegenstehen.
2. Google Disco: Architektur eines “Discovery Vehicle”
Google Labs positioniert Disco explizit nicht als bloßes Update für Chrome, sondern als experimentelles “Discovery Vehicle”, das entwickelt wurde, um die Interaktion mit dem Web neu zu denken.1 Diese Unterscheidung ist essenziell: Während Chrome das Massenprodukt für Stabilität und Kompatibilität bleibt, ist Disco der Vorreiter für eine KI-native Web-Erfahrung.
2.1 Das Ende der URL-Zentrierung
Das auffälligste Merkmal von Disco ist die Abkehr von der klassischen “Omnibox” (Adressleiste) als primäres Steuerelement. In herkömmlichen Browsern ist die URL der Anker der Erfahrung. In Disco tritt an ihre Stelle ein Prompt-Composer, der stark an Chatbot-Interfaces erinnert.3
Diese Designentscheidung signalisiert eine Verschiebung der Nutzerintention: Weg von “Navigiere zu Ort X” hin zu “Erledige Aufgabe Y”. Der Nutzer gibt nicht primär eine Adresse ein, sondern formuliert ein Ziel in natürlicher Sprache. Der Browser entscheidet dann autonom, ob er eine bestehende Webseite aufruft, eine Suche durchführt oder – und das ist das Novum – eine völlig neue Oberfläche generiert.
2.2 GenTabs: Die Technologie der Ephemeren Software
Das Herzstück von Google Disco ist die Funktion GenTabs (Generative Tabs). Technologisch betrachtet handelt es sich hierbei um die Echtzeit-Generierung von Single Page Applications (SPAs) durch das multimodale KI-Modell Gemini 3.1
2.2.1 Funktionsweise und Kontext-Ingestion
GenTabs löst das Problem der Informationsfragmentierung. In einem typischen Recherche-Szenario – etwa der Planung einer Reise nach Japan – öffnet ein Nutzer Dutzende von Tabs: Flugvergleichsseiten, Hotelbuchungsportale, Blogs über Kirschblütenfeste, Kartenmaterial und Wetterberichte. Das kognitive Load-Management, also das Zusammenführen dieser disparaten Informationen, liegt traditionell vollständig beim Nutzer (“Tab Fatigue”).2
GenTabs übernimmt diese kognitive Last durch einen dreistufigen Prozess:
- Multimodale Kontext-Ingestion: Gemini 3 greift auf den gesamten aktuellen State des Browsers zu. Es liest die Inhalte aller offenen Tabs (Text, Bilder, Metadaten) sowie den Chatverlauf und bisherige Suchanfragen.1 Dies erfordert ein extrem großes Kontext-Fenster (Context Window), eine der Schlüsselfunktionen von Gemini 3, das in der Lage ist, Millionen von Token simultan zu verarbeiten.
- Semantische Synthese und Planung: Das Modell identifiziert die übergeordnete Absicht (Intent Recognition). Es erkennt, dass die offenen Tabs nicht isoliert sind, sondern Teil des Projekts “Reise nach Japan im Frühling” sind.
- Generative UI Construction: Anstatt eine Textzusammenfassung zu liefern, schreibt Gemini 3 Code für eine grafische Benutzeroberfläche. Es generiert ein GenTab – eine temporäre, interaktive Web-App.
2.2.2 Anatomie eines GenTabs
Ein GenTab ist keine statische Webseite, sondern ein funktionales Dashboard. Im Japan-Beispiel generiert Disco:
- Einen interaktiven Zeitplan, der Daten aus den Flug- und Hotel-Tabs synchronisiert.
- Eine Karte, auf der Sehenswürdigkeiten aus den Blogs markiert sind, angereichert mit Echtzeit-Daten zu Besucherströmen (“Crowd Levels”).2
- Widgets, die dynamische Aktionen erlauben, wie z.B. “Historische Blütentrends anzeigen” oder “Unterkünfte in der Nähe suchen”.2
Der Nutzer interagiert mit diesem GenTab wie mit einer professionell entwickelten App. Er kann Filter setzen, Ansichten ändern oder neue Parameter via Chat hinzufügen (“Zeige nur vegetarische Restaurants”). Das Modell passt den Code der App in Echtzeit an.6
2.2.3 Das Konzept der “Wegwerf-Software” (Disposable Software)
Dies stellt einen Paradigmenwechsel in der Softwareentwicklung dar. Traditionell wird Software geschrieben, kompiliert, deployt und gewartet. GenTabs sind ephemere Software: Sie werden für einen einzigen Zweck, für einen einzigen Nutzer, für den Moment generiert und danach verworfen. Der Browser wird zur “Software Factory On-Demand”. Der Nutzer muss nicht mehr nach einer App suchen, die sein Problem löst; der Browser baut die App, wenn das Problem auftritt.3
2.3 Integration in das Google-Ökosystem
Disco basiert auf Chromium, dem Open-Source-Projekt, das auch Chrome antreibt.2 Dies ist strategisch entscheidend:
- Kompatibilität: Disco rendert das “normale” Web genauso zuverlässig wie Chrome. Es bricht nicht mit Web-Standards.
- Erweiterbarkeit: Bestehende Chrome-Extensions könnten theoretisch weiter funktionieren, auch wenn das UI-Konzept dies erschwert.
- Daten-Feedback-Loop: Die Interaktionen in Disco dienen dazu, Gemini 3 weiter zu trainieren. Google nutzt das Experimentierfeld “Labs”, um zu lernen, welche generativen Features nützlich sind, bevor sie in das Hauptprodukt Chrome (mit Milliarden Nutzern) integriert werden.9
Die Verknüpfung “Every generative element ties back to the web” 6 ist Googles Versuch, die Balance zwischen KI-Nutzung und dem Erhalt des Ökosystems zu wahren. Elemente in GenTabs sind keine “Black Box”-Antworten, sondern Deep-Links zu den Quellen. Klickt der Nutzer auf eine Hotel-Karte im GenTab, landet er (theoretisch) auf der Buchungsseite des Anbieters.
3. Wettbewerbsanalyse: Der Kampf um den KI-Browser-Markt
Google agiert nicht im Vakuum. Der Start von Disco ist eine direkte Reaktion auf den massiven Druck durch Wettbewerber, insbesondere OpenAI, die versuchen, die Vormachtstellung von Chrome zu brechen. Wir sehen eine Divergenz in den Philosophien: Generative UI (Google) vs. Agentic Action (OpenAI) vs. Deep Research (Perplexity).
3.1 OpenAI ChatGPT Atlas: Der “Agent” im Browser
Im Gegensatz zu Discos Ansatz, das Web neu zu visualisieren, zielt ChatGPT Atlas darauf ab, das Web zu bedienen. OpenAI positioniert Atlas als “Super Assistant”, der Aktionen ausführt.10
3.1.1 Agent Mode vs. GenTabs
Das definierende Feature von Atlas ist der Agent Mode. Während GenTabs eine Oberfläche baut, damit der Nutzer besser planen kann, übernimmt Atlas die Planung selbst.
- Funktionsweise: Der Nutzer gibt den Befehl: “Buche einen Flug nach New York unter 500 Dollar.” Der Atlas-Agent navigiert autonom zu Reise-Websites, klickt Buttons, füllt Formulare aus und führt die Transaktion (bis zur Bestätigung) durch.11
- Technologische Basis: Atlas nutzt visuelles Verständnis (Vision Models) und DOM-Analyse, um Webseiten wie ein Mensch zu “sehen” und zu bedienen. Es verlässt sich stark auf Accessibility-Tags (ARIA-Labels), um Elemente zu identifizieren.12
- Unterschied: Disco (GenTabs) ist informativ und explorativ (Dashboarding). Atlas ist exekutiv und transaktional (Doing).
3.1.2 Sicherheitsrisiken bei Atlas
Die agentische Natur von Atlas birgt spezifische Risiken, die bei Disco weniger ausgeprägt sind:
- Indirect Prompt Injection: Eine böswillige Webseite könnte versteckten Text oder manipulierte ARIA-Tags enthalten, die den Agenten täuschen. Ein Angreifer könnte den Agenten instruieren, Daten an einen Drittserver zu senden oder eine falsche Transaktion auszuführen. Da der Agent autonom handelt, bemerkt der Nutzer dies möglicherweise erst zu spät.12
- Enterprise-Untauglichkeit: Analysen zeigen, dass der “Agent Mode” von Atlas derzeit für Unternehmen als zu riskant eingestuft wird (fehlende SOC 2 Compliance, Risiko von Datenabfluss), weshalb OpenAI ihn primär als Beta positioniert.14
3.2 Perplexity Comet: Der Recherche-Spezialist
Perplexity hat mit Comet einen Browser gelauncht, der sich als ultimatver Recherche-Assistent positioniert.
3.2.1 Kontext-Persistenz und Privatsphäre
- Kontext: Comet zeichnet sich dadurch aus, dass er den Kontext einer Recherche-Session über lange Zeiträume und verschiedene Tabs hinweg behält (“Thread Persistence”).15
- Datenschutz als USP: Im Gegensatz zu Google (deren Geschäftsmodell auf Datensammlung basiert), bietet Comet granulare Kontrolle. Daten werden standardmäßig lokal auf dem Gerät gespeichert. Der Cloud-Sync ist optional. Dies positioniert Comet als die privatsphäre-freundliche Alternative für Wissensarbeiter.16
- Integration: Comet bietet eine tiefe Integration von Zitaten und Quellen. Während GenTabs eine neue App baut, liefert Comet eine hochdetaillierte, akademisch zitierte Antwort direkt im Sidebar-Interface.17
3.3 Arc Search und andere Nischen-Player
Arc Search (The Browser Company) war einer der Pioniere mit der Funktion “Browse for Me”, die mehrere Webseiten liest und eine Zusammenfassung generiert.18
- Vergleich: Arc’s Ansatz ist eher eine “On-Demand-Wikipedia-Seite”. Disco’s GenTabs gehen mit der Interaktivität (Zoom, Filter, Widgets) deutlich weiter und nähern sich echten Applikationen an. Arc konzentriert sich stark auf Design und UX (“The calm browser”), während Google auf rohe generative Power setzt.
3.4 Vergleichstabelle der KI-Browser-Features
Die folgende Tabelle fasst die Kernunterschiede zusammen:
| Feature | Google Disco (GenTabs) | OpenAI ChatGPT Atlas | Perplexity Comet | Arc Search |
| Kern-Metapher | Software Factory: Baut Apps aus Inhalten. | Virtueller Mitarbeiter: Führt Aktionen aus. | Bibliothekar: Recherchiert & zitiert. | Kurator: Fasst zusammen & säubert. |
| KI-Modell | Gemini 3 (Multimodal, Long Context). | GPT-4o / o1 (Reasoning & Agentic). | Perplexity Mix (GPT/Claude/Llama). | Unbekannt (LLM-Mix). |
| Primäre Interaktion | Prompt -> Interaktives Dashboard (GenTab). | Prompt -> Autonome Navigation (Agent Mode). | Prompt -> Textantwort mit Quellen. | “Browse for me” -> Neue Webseite. |
| Datenschutz | Cloud-Verarbeitung (Google Policy).19 | Cloud-Verarbeitung, Enterprise-Risiken.14 | Lokal First, Cloud Opt-in.16 | Fokus auf Privacy/No-Ads. |
| Exekutive Fähigkeiten | Gering (Fokus auf Darstellung). | Hoch (Formulare, Buchungen).10 | Mittel (Kann Formulare füllen). | Gering. |
| Zielgruppe | Mainstream (via Chrome-Integration geplant). | Power-User, Early Adopters. | Wissensarbeiter, Forscher. | Design-Enthusiasten. |
4. Technische Herausforderungen und Limitationen
Die Vision von Disco ist ambitioniert, steht aber vor signifikanten technischen Hürden.
4.1 Latenz und Rechenleistung
Die Generierung einer kompletten Web-Applikation (GenTab) durch ein Modell wie Gemini 3 ist extrem rechenintensiv.
- Inferenz-Kosten: Jedes GenTab erfordert Millionen von Token an Input (die offenen Tabs) und Output (der Code der App). Dies ist um Größenordnungen teurer als eine herkömmliche Google-Suche.
- Latenz: Die Verzögerung zwischen Prompt und fertigem GenTab muss minimal sein (“Sekundenbruchteile”), um die “Flow”-Erfahrung nicht zu brechen. Aktuell ist dies nur durch massive Cloud-Infrastruktur möglich, was Offline-Nutzung ausschließt.6
4.2 Halluzinationen in der Benutzeroberfläche
LLMs neigen zu Halluzinationen. In einem Text ist ein faktischer Fehler ärgerlich. In einer generierten Software kann er fatal sein.
- UI-Halluzination: Was passiert, wenn Gemini 3 einen “Buchen”-Button generiert, der technisch ins Leere führt oder falsche Parameter übergibt?
- Daten-Integrität: Wenn ein GenTab “Sonderangebote” aus drei verschiedenen Hotel-Seiten aggregiert, muss sichergestellt sein, dass die Preise aktuell sind. Da das Modell eine “Momentaufnahme” der Tabs verarbeitet, können dynamische Preise veralten, sobald das GenTab erstellt ist. Google versucht dies durch Live-Links zu mitigieren, aber das Risiko der Desynchronisation bleibt bestehen.
4.3 Das “Self-Cannibalization” Dilemma
Google lebt von Werbeeinnahmen. GenTabs reduzieren die Page Impressions auf den Zielseiten und auf der Google-Suche selbst.
- Wenn der Nutzer seine Reise komplett im GenTab plant, sieht er keine Google Ads in der Suche.
- Wenn er nicht mehr auf die Webseiten der Publisher klickt, verlieren diese Werbeeinnahmen. Dies könnte mittelfristig dazu führen, dass Publisher ihre Inhalte für Google-Bots sperren (via robots.txt oder Paywalls), was wiederum die Datenbasis für GenTabs austrocknet (“Tragedy of the Commons”).
5. Globaler Rollout und die “Festung Europa” (DMA Analyse)
Während US-Nutzer (auf der Waitlist) bereits experimentieren können, steht ein Rollout in Europa, und speziell in Deutschland, vor einer regulatorischen Wand.
5.1 Der Digital Markets Act (DMA) als Showstopper
Der Digital Markets Act (DMA) der EU, der seit März 2024 vollstreckt wird, zielt darauf ab, die Macht der “Gatekeeper” (zu denen Alphabet/Google gehört) zu begrenzen. Disco kollidiert potenziell mit mehreren Kernprinzipien des DMA.
5.1.1 Verbot der Selbstbevorzugung (Art. 6(5) DMA)
Der DMA verbietet es Gatekeepern, ihre eigenen Dienste im Ranking oder in der Darstellung gegenüber Dritten zu bevorzugen.20
- Konflikt: Ein GenTab ist per Definition eine “Bevorzugung” einer Google-eigenen Darstellung (der generierten App) gegenüber den Original-Webseiten. Wenn ein Nutzer nach “Hotels in Berlin” sucht und Disco generiert ein interaktives Hotel-Dashboard, das die Ergebnisse von Booking.com und Expedia aggregiert, aber in einer Google-Oberfläche präsentiert, könnte dies als unfaire “Vermittlung” interpretiert werden, die den direkten Traffic zu den Wettbewerbern abgräbt.
- Präzedenzfall: Google musste bereits “Google Flights” und Karten-Integrationen in der EU-Suche anpassen/entfernen, um Compliance zu gewährleisten. Ein Browser, der alles in eine Google-App verwandelt, ist die Antithese zu diesen Entflechtungsbemühungen.21
5.1.2 Datenkombination und Entkopplung (Art. 5(2) DMA)
Gatekeeper dürfen personenbezogene Daten aus verschiedenen Kerndiensten (z.B. Chrome, Search, Android) nicht ohne explizite Einwilligung zusammenführen.21
- Konflikt: GenTabs benötigt eine massive Datenfusion. Es muss den Browserverlauf (Chrome-Daten), die Suchhistorie (Search-Daten) und ggf. Standortdaten (Android-Daten) in Echtzeit kombinieren, um den Kontext für Gemini 3 zu erstellen.
- UX-Hürde: Um dies legal zu tun, müsste Google den Nutzer in Europa ständig mit komplexen Consent-Bannern (“Möchten Sie Chrome-Daten mit Gemini verknüpfen?”) konfrontieren. Dies zerstört die nahtlose “Magie” des Produkts.
5.2 Die Situation in Deutschland: Investition vs. Verfügbarkeit
Es entsteht ein Paradoxon in Deutschland. Einerseits ist Deutschland ein zentraler Hub für Googles KI-Infrastruktur, andererseits ein regulatorisches Sperrgebiet für die Endprodukte.
- Infrastruktur-Offensive: Google investiert 5,5 Milliarden Euro bis 2029 in deutsche Rechenzentren und Bürostandorte. Im Fokus stehen ein neues Rechenzentrum in Dietzenbach und Erweiterungen in Hanau (Rhein-Main-Gebiet).23
- Zweck: Diese Anlagen sind explizit für Cloud- und KI-Workloads konzipiert. Google schafft physisch die Kapazität, um Modelle wie Gemini 3 mit niedriger Latenz für deutsche Unternehmenskunden und Nutzer bereitzustellen.
- Die “Software-Lücke”: Trotz dieser massiven Hardware-Präsenz bleiben innovative Software-Features (“Labs”) oft außen vor. Nutzer in Deutschland erhalten oft Fehlermeldungen wie “Not available in your region”.26 Dies liegt nicht an fehlenden Servern, sondern an der rechtlichen Unsicherheit. Google nutzt Europa oft erst als Markt, wenn Produkte “rechtssicher” gemacht wurden – was bei radikalen Experimenten wie Disco Jahre dauern kann.
5.3 Prognose für den Deutschland-Start
Ein Start von Disco in Deutschland ist nicht vor 2026 zu erwarten, und auch dann vermutlich nur in einer stark modifizierten Version.
- Wahrscheinliches Szenario: Google wird warten, bis die Kartellverfahren gegen Microsoft (Copilot) und OpenAI geklärt sind, um zu sehen, wie die EU-Kommission “KI-Browser” interpretiert.
- Mögliche Anpassungen: Eine “EU-Version” von GenTabs könnte weniger proaktiv sein (Opt-in für jede Generierung) oder müsste garantieren, dass keine Daten für das Training der Modelle gespeichert werden (DSGVO-Compliance).28
6. Datenschutz-Deep-Dive: Der gläserne Nutzer
Die Einführung von Disco wirft fundamentale Fragen zum Datenschutz auf, die über die regulatorische Ebene hinausgehen.
6.1 Die Panoptikum-Architektur
Damit GenTabs funktionieren, muss der Browser “verstehen”, was der Nutzer tut. Das bedeutet, dass der Inhalt jeder Webseite, die der Nutzer besucht, potenziell durch das Gemini-Modell analysiert wird.
- Cloud-Inference: Da Gemini 3 zu groß ist, um lokal auf den meisten Laptops zu laufen, werden Daten (Tab-Inhalte) an Google-Server gesendet. Auch wenn Google versichert, Daten zu verschlüsseln und zu anonymisieren 19, bedeutet dies, dass Google technisch in der Lage ist, den Inhalt (nicht nur die URL) jeder Session zu lesen.
- Unterschied zu Chrome: Chrome weiß, dass Sie auf bankofamerica.com sind. Disco muss den Inhalt der Seite lesen, um Ihnen eventuell eine “Banking-Dashboard-App” anzubieten. Dies ist eine qualitative Ausweitung der Überwachung.
6.2 Enterprise-Risiken
Für Unternehmen stellt Disco ein massives Risiko dar. Wenn ein Mitarbeiter interne Dokumente (im Intranet oder in Web-Apps) geöffnet hat und GenTabs nutzt, könnten sensible Firmendaten an Google gesendet werden, um die App zu generieren.
- Wettbewerber wie OpenAI raten Unternehmen explizit davon ab, experimentelle Browser-Features mit vertraulichen Daten zu nutzen.14
- Es ist zu erwarten, dass IT-Abteilungen die Nutzung von Disco und GenTabs auf Firmenrechnern strikt blockieren werden, bis “Private Cloud”-Lösungen verfügbar sind.
7. Strategische Implikationen und Fazit
7.1 Die Transformation des SEO-Marktes
Disco und GenTabs sind Vorboten einer “Zero-Click”-Zukunft.
- Status Quo: SEO zielt darauf ab, im Ranking oben zu stehen, um Klicks zu erhalten.
- Zukunft: In einer Welt von GenTabs ist das Ziel nicht mehr der Klick, sondern die Inklusion in die Generierung. Wenn GenTabs einen Reiseplan erstellt, gewinnt nicht das Hotel mit dem besten SEO, sondern das Hotel, dessen Datenstruktur (Schema.org, API) für Gemini 3 am einfachsten zu parsen und in die App zu integrieren ist.
- Strukturierte Daten: Webseiten müssen sich von “für Menschen lesbar” zu “für KI prozessierbar” wandeln.
7.2 Zusammenfassung
Google Disco ist ein technologisches Meisterwerk und ein strategisches Wagnis. Mit GenTabs und Gemini 3 zeigt Google, dass es bereit ist, das Konzept des Browsers neu zu erfinden, um im KI-Zeitalter relevant zu bleiben. Es ist der Versuch, die Hoheit über den “User Intent” zurückzugewinnen, die durch ChatGPT bedroht wurde.
Die Features (GenTabs, dynamische App-Generierung) sind revolutionär und übertreffen die bloße Zusammenfassung von Texten bei weitem. Die Unterschiede zu OpenAI Atlas (Agentic/Doing) und Perplexity Comet (Research/Reading) sind klar definiert: Disco ist für das Bauen und Planen.
Der globale Rollout wird jedoch asymmetrisch verlaufen. Während die USA als Testfeld dienen, wird die Europäische Union aufgrund des DMA und strenger Datenschutzgesetze zur Bremse. Deutschland profitiert zwar von massiven Infrastruktur-Investitionen, wird aber auf die Software-Innovationen warten müssen.
Für den Nutzer bedeutet Disco: Mehr Macht, weniger Tab-Chaos, aber auch die totale Transparenz gegenüber der KI. Der Browser ist nicht mehr nur ein Werkzeug; er wird zum aktiven Partner – und zum ultimativen Beobachter.
Haftungsausschluss: Dieser Bericht basiert auf den zum Zeitpunkt der Erstellung verfügbaren Informationen und experimentellen Releases von Dezember 2025. Die regulatorische Landschaft und die technischen Spezifikationen entwickeln sich dynamisch weiter.
Referenzen
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- Google announces experimental ‘Disco’ browser with ‘GenTabs’, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://9to5google.com/2025/12/11/google-disco-gentab-browser/
- Google’s Browser Of The Future Is Here: The Unique Web App You Need, When You Need It, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://www.bgr.com/2050095/google-browser-future-here-unique-web-app-when-you-need/
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- Google Launches Disco To Make Tabs Into Web Apps, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://www.findarticles.com/google-launches-disco-to-make-tabs-into-web-apps/
- Google GenTabs turns tabs into interactive web apps – ITdaily., Zugriff am Dezember 12, 2025, https://itdaily.com/news/software/google-disco-gentabs/
- This New Gemini-Powered Feature Will Build Instant Web Apps to Speed Your Research, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://www.cnet.com/tech/services-and-software/google-disco-gentabs-feature-ai-web-apps-creation/
- Google Disco Browser Revealed: Gemini 3 AI Creates Apps – Android – Gadget Hacks, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://android.gadgethacks.com/news/google-disco-browser-revealed-gemini-3-ai-creates-apps/
- OpenAI launches Atlas, a web browser powered by ChatGPT – Silicon Republic, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://www.siliconrepublic.com/machines/openai-atlas-ai-web-browser-chatgpt-google-perplexity-search-engine
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- Google Announces €5.5 Billion Investment in Germany, including AI Infrastructure, through 2029, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://www.googlecloudpresscorner.com/2025-11-11-Google-Announces-EUR5-5-Billion-Investment-in-Germany,-including-AI-Infrastructure,-through-2029
- Google to invest nearly $6 billion in Germany, here’s why – The Times of India – Indiatimes, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://timesofindia.indiatimes.com/technology/tech-news/google-to-invest-nearly-6-billion-in-germany-heres-why/articleshow/125251373.cms
- Where Search Labs & experiments are available – Google Help, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://support.google.com/websearch/answer/14184960?hl=en
- When Google Lab will be available in Europe? I mean when I want to use it I need VPN because without VPN it say me “Google Lab is not available in your region” and only I can use Google Lab if my VPN is turned on. : r/google – Reddit, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://www.reddit.com/r/google/comments/1ixdwp6/when_google_lab_will_be_available_in_europe_i/
- Generative AI in Google Workspace Privacy Hub, Zugriff am Dezember 12, 2025, https://support.google.com/a/answer/15706919?hl=en
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