Rezension: Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Rezension: Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten

Skyline von Chicago

Geert Mak’s grandioses Werk „Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ (624 Seiten, Siedler) ist weit mehr als nur eine oberflächige Momentaufnahme der Vereinigten Staaten aus dem Jahr 2010 – es ist eine tiefgründige, journalistische Glanzleistung.

Denn Mak liefert hier nicht nur einen umfassenden, nahezu analytischen Amerika-Reisebericht ab. Vielmehr basiert seine gesamte Reiseroute auf den fünfzig Jahre alten Klassiker „Die Reise mit Charley: Auf der Suche nach Amerika“ des Literaturnobelpreisträgers John Steinbeck, was Mak einen zweiten Erzählstrang ermöglicht: Wie hat sich das Amerika des 21. Jahrhunderts seit der Reise von John Steinbeck vor über fünf Dekaden verändert – der Leser geht gemeinsam mit Mak und Steinbeck auf eine feinsinnige Suche nach der Lage der Nation:

“Dieser rasante, aber öffentlich nicht diskutierte Wandel ihrer Gesellschaft, die tiefgreifende Veränderung der Prioritäten und das Schwinden der klassischen amerikanischen Werte wie Sparsamkeit, Einfachheit und Solidarität verunsicherte nicht wenige Amerikaner. Sie spürten, dass die Party mit all den Waschmaschinen, rosafarbenen Buicks und den flotten Petticoats einen einschneidenden Bruch markierte. Der Sieg über die Welt des Mangels war eine historische Leistung ersten Ranges, aber den Menschen dämmerte, dass das Reich des Überflusses neue Probleme mit sich bringen würde, und zwar von einer Art und in einem Umfang, von denen sie sich noch keine Vorstellung machten.”

Reiseroute von John Steinbeck
Reiseroute von John Steinbeck. 10000 Meilen in 11 Wochen durch 33 Bundesstaaten.

 

Gefühlt einem Drittel des Buches widmet Mak solchen Vergleichen zwischen Steinbecks Impressionen und dem Ist-Zustand der „default power“. Und schließlich verfeinert er die ohnehin schon spannende Mischung noch mit üppigen Beigaben an historischen und zeitgenössischen Quellen wie beispielsweise der Amerika-Reise von Alexis de Tocqueville oder dem zeitgleich mit ihm aufgebrochenen Bill Steigerwald. Das Ergebnis ist ein authentisches Werk, das kein Blatt vor dem Mund nimmt…

“You mother-fucking, nigger-sucking, prick-licking piece of shit. Du würdest sogar einem Hund den Arsch lecken, wenn er dich ließe. Schaut euch den Drecksack an, wie er da geht mit seinem stinkenden Arschloch. Ihr glaubt doch nicht etwa, dass das, dort an seiner Hand, sein Kind ist? Das ist ein Stück Scheiße. Es ist ein Stück Scheiße an der Hand eines anderen Stücks Scheiße. Wisst ihr, was wir tun sollten? Wir sollten ihm die Hosen ausziehen, ihm die Eier abschneiden und sie an die Schweine verfüttern – wenn er überhaupt Eier hat. Was haltet ihr davon, Freunde?”

…so beschreibt Steinbeck Szenen aus dem von Segregation geprägten New Orleans Anfang der sechziger Jahre. Obgleich versucht Mak, ein allzu pessimistisches Amerika-Bild zu vermeiden – dafür ist „Amerika! Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ viel zu sorgfältig recherchiert – auch wenn es Ihm am Ende des Buches ebenso wie Steinbeck nicht gelingt, seine Zweifel zu verstreuen:

“Ob es um den Sündenfall oder die Staatsschulden geht, alles wird in die solide Form einer Predigt gepackt und die rhetorischen Tricks der Kanzel wie Rhythmus, Betonung und Pausen werden auf uns abgefeuert. Hier schmelzen Religion, Politik und soziale Umgangsformen zu einem endlos weiterrollenden Knäuel aus Wörtern und Ermahnungen zusammen.”

Mak nährt weder landläufige Vorurteile noch beschönigt er Missstände. Er zeigt dem Leser Amerika so, wie es ist, und wie es zu dem geworden ist, was es ist. Lesenswert!

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